Norbert Stöbe:
10 Punkte
Einig war sich das Komitee in seiner Bewertung in einem Punkt: Eigentlich hätte
diese Story von jedem einzelnen Komiteemitglied zehn Punkte bekommen sollen
- da aber für die Bewertung 15 Punkte die Höchstzahl sind, war
die Story für diesen Gag zu gut - und deshalb hat sie auch gewonnen.
Martin ist süchtig. Weder nach Alkohol noch nach Zigaretten. Nicht fehlendes
Kokain oder Heroin bringen ihn auf Entzug, aber ein dreitägiger Stromausfall
wäre schlimm.
Martin ist ein Spacer. Aus Frust über Arbeitslosigkeit und eine wenig ansprechende
Umwelt zieht er sich zurück und geht mit Hilfe seines Computers auf
Reisen - in fremde Abenteuerwelten, wo er Held sein kann. Schön, wohlhabend
und erfolgreich, ein verwegener Abenteurer, der sich allen Herausforderungen
stellt und der siegt - all das, was er in seiner wirklichen Umgebung längst
nicht mehr sein kann.
Und in seinem derzeitigen Lieblingsspiel geht er auf Saurierjagd. Eine ausgefeilte
Technik läßt ihn das Abenteuer erleben, und es kommt wie es
kommen muß, er dringt immer weiter in die Traumwelt ein - oder die
Traumwelt dringt immer weiter in ihn ein? - und zieht sich aus seiner Realität
zurück. So wundert es auch nicht, daß es Martin unmöglich
wird, seiner Saurierwelt zu entfliehen, daß die Realität zwar
dort einbricht, er sie aber nicht mehr erreichen kann.
"Eine gewagte Mischung aus Urwaldszenario und Aachener Lokalkolorit" schreibt
ein Komiteemitglied, und von uns allen wurde der Story Spannung und eine
flotte Schreibweise des Autoren bescheinigt. Das Thema ist aktuell und
die technischen Entwicklungen sind weit genug fortgeschritten, daß
Spiele wie die Saurierjagd in Aachen in vielleicht nicht allzu ferner Zukunft
über unseren Bildschirm flimmern könnte.
In einem Land mit hunderttausenden von Süchtigen und Millionen von Gefährdeten
ein weiterer Weg, die Realität zu verlassen.
Trotz eines warnenden Untertons eine Geschichte ohne den erhobenen Zeigefinger
- ein würdiger Preisträger des SFCD-Literaturpreises 1993 in
der Sparte Kurzgeschichte.
Laudatio zum Roman '93