Zwei Laudationes:
Claus-Peter Lieckfeld/Frank Wittchow:
427 - Im Land der grünen Inseln
Aus dem Zwischenwort der Autoren:
"Dieses Buch ist der Versuch, das grundsätzlich Bekannte, das Absehbare, das Sehr-wohl-Mögliche noch einmal anders zu sagen. Schon deshalb, weil sich in der Sprache der Statistiker Hoffnung verbietet, in einem Roman nicht."
Claus-Peter Lieckfeld und Frank Wittchow beschreiben bundesdeutsche Wirklichkeit im Jahr 2009. Umweltverschmutzung, Computer- und Biotechnik machen den Menschen zu schaffen. So gibt es zahlreiche Totalallergiker, die nur in einer keimfreien Umgebung, abgeschlossen von der Umwelt, überleben können; die Zahl der Computerautisten, die nur noch mit Computersystemen, aber nicht mehr mit anderen Menschen kommunizieren können, wächst; und die Biowissenschaftler bieten eine Lösung für alle Schlankheitsprobleme - zum Preis einer extrem verringerten Lebenserwartung und eines qualvollen Erstickungstodes, wie sich herausstellt.
Vor diesem Hintergrund sucht eine deutsch-türkische Journalistin nach einem genialen Computer-Hacker, der verschwunden ist. Die Botschaft, die dieser Hacker verschlüsselt hinterlassen hat, "427", führt die Journalistin schließlich in die "Freie Republik Kraichgau", wo sich alternative und umweltbewußte Gruppierungen um bessere Lebensbedingungen in einer anderen Gesellschaftsordnung bemühen.
"427" ist ein Buch, das alle angeht. Denn Lieckfeld und Wittchow beschreiben
nicht die Welt des nächsten Jahrtausends, noch nicht einmal die Welt von morgen; sie beschreiben, was uns in den nächsten zehn Minuten passieren kann. Dabei wird kein Thema ausgelassen. Alle Entwicklungen, die die Autoren ansprechen, gibt es bereits (z.B. ist schon heute bei uns jeder vierte gegen irgendetwas allergisch).
Die Autoren, die über ein profundes Wissen verfügen, haben ihrem Roman als Beleg einen ausführlichen Anhang mitgegeben, der die zweite Hälfte des Buches ausmacht. In ihm sind die im Roman dargestellten Probleme journalistisch aufgearbeitet.
"427" ist als Spannungsroman angelegt; die Sprache ist einfach. Lieckfeld und
Wittchow gelingt es in ihrem Erstling nicht immer, sprachliche und handwerkliche Probleme souverän zu meistern. Die Vielzahl der Themen läßt ihnen im Rahmen eines 200-Seiten-Romans auch nicht viel Spielraum; einige Figuren und die Konstruktion der "Freien Republik Kraichgau" sind ein wenig zu einfach gestaltet.
Dennoch ist "427" preiswürdig. Der Roman weist eindringlich auf unser Heute und auf unser voraussehbares Morgen hin; er verwirklicht ein ernstes Anliegen der Science Fiction: verhängnisvolle Entwicklungen zu benennen und vor deren Folgen zu warnen. Darüber hinaus ist er spannend und annehmbar geschrieben.
Willmar Plewka
- für das Literaturpreiskomitee -