»Das Schiff« von Andreas Brandhorst.
Piper Verlag. ISBN: 978-3-492-70358-1
Die Geschichte um ein Raumschiff ist ein Thema des Romans, aber nicht das zentrale. Eigentlich handelt das Buch vom Menschen Adam.
Der Protagonist Adam ist ein Bewohner der Erde mindestens 6.000 Jahre in der Zukunft. Er ist einer von nur noch 131 sterblichen Menschen unter 4 Millionen Unsterblichen und einer unbekannten Anzahl intelligenter Maschinen. Normalerweise werden Menschen, die das dreißigste Lebensjahr erreicht haben, einer Behandlung unterzogen, deren Ergebnis die Unsterblichkeit ist. Bei einigen wenigen führt dies nicht zum gewünschten Ziel und der Alterungsprozess läuft normal weiter. Doch diese Sterblichen haben eine besondere Fähigkeit: Die Maschinenzivilisation ist über Tausende von Jahren in das Universum vorgedrungen – mit höchstens Lichtgeschwindigkeit, denn eine Technologie, die Lichtbarriere zu überwinden, ist noch nicht gefunden. Und nur diese Sterblichen können ihr Bewusstsein in die Maschinen übertragen lassen, die dort draußen im Universum darauf warten, Aufträge der zentralen Maschinenmacht auf der Erde auszuführen – gesteuert von den Bewusstseinen der Sterblichen.
Offiziell sind die Maschinen auf der Suche nach technologischen Artefakten der Muriah, einer schon lange untergegangenen, der menschlichen weit überlegenen Zivilisation.
Doch die Maschinen, einst gebaut, um die Menschen zu schützen, nicht zuletzt vor sich selbst, haben ganz eigene Interessen. Adam erkennt langsam, was sie vorhaben. Damit wird er zwar unbequem, begibt sich auch in Gefahr, aber die Maschinen benötigen weiterhin seine Hilfe.
Und dann ist da »das Schiff« …
Andreas Brandhorst erschafft ein stimmiges Universum in einer uns fernen Zeit. Diesmal jedoch – im Gegensatz zu den meisten anderen seiner Werke – hat »Das Schiff« einen eher melancholischen Unterton. Die Menschen haben die Technik in für uns nicht vorstellbarer Weise weiterentwickelt und sind fast alle unsterblich geworden. Sie nutzen die Möglichkeiten der Technologie, ohne sie als solche wirklich wahrzunehmen. Die Technik ist einfach da und funktioniert störungsfrei – und in Wirklichkeit haben die Maschinen längst die Macht übernommen.
Tausende Jahre Lebenszeit mögen dem heutigen Leser als etwas Wunderbares erscheinen, doch kann der Mensch wirklich damit umgehen? Was macht er aus einer solchen Lebenszeit? Welch umfassende Möglichkeiten böte ein solch schier endloses Leben: Lebenslanges Lernen und die immer wiederkehrende Suche nach neuen Herausforderungen – das sind Perspektiven, die für uns nur schwer zu begreifen sind.
Nicht leichter ist das Leben eines Sterblichen in einer Welt, in der er von unsterblichen Menschen und – ebenso unsterblichen – Maschinen umgeben ist. Wie sehr wünschte Adam sich, ewig zu leben, um all die Geheimnisse des Universums erforschen zu können – was ihm verwehrt bliebe, wäre er unsterblich. Er sehnt sich danach und hadert mit dem Schicksal, sterben zu müssen, mit letzter Kraft noch ein Ziel erreichen zu wollen, das er niemals zuvor überhaupt in Erwägung gezogen hatte.
Und dann ist da »das Schiff« …
Letztendlich bleibt der Mensch ein Mensch – das ist seine Schwäche und, wie wir am Beispiel Adams erfahren sollen, gleichzeitig seine Stärke. Die Maschinen versuchen, Moral und Ethik mit ihrer künstlichen Intelligenz nachzuahmen. Doch kann Technologie dies wirklich so wie der Mensch erfahren und leben? Und auch die Unsterblichen sind quasi zu Maschinen geworden, die scheinbar vergessen haben, was Ziele sind.
»Das Schiff« ist eine schöne Erzählung mit hohem, durchaus poetischem Gehalt, die Figuren sind in sich stimmig; es macht Spaß, die Geschichte zu lesen, mit dem sterblichen Menschen Adam das Universum und einige wenige Geheimnisse zu erforschen – und zu erkennen, dass auch unsere Zeit viel zu kurz ist, um alle Geheimnisse, die sich uns anbieten, zu lösen … ach, nein, sie überhaupt erst zu identifizieren!
Action und Spannung würzen die Handlung des Romans, aber sie bleiben dezent im Hintergrund und sind für die eigentliche Aussage des Buches auch nicht notwendig. Sie erzeugen das Kribbeln im Leser, das man vermeintlich Action und Spannung zuschreiben möchte, bis man erkennt, dass es eher von der Faszination der Idee herrührt, den Wunsch nach Unsterblichkeit zugunsten von Wissen und Erleben aufzugeben.
Andreas Brandhorst hat mit »Das Schiff« ein Werk geschaffen, das es zu Recht verdient hat, den Deutschen Science-Fiction-Preis 2016 in der Kategorie »Bester Roman« zu erhalten.
Für das Preiskomitee im August 2016
Ralf Boldt & Michael Haitel
Edewecht & Murnau am Staffelsee