»Orte der Erinnerung« von Wolfgang Jeschke
erschienen 2010 in PANDORA Science Fiction & Fantasy Nr. 4
Das Preiskomitee des Deutschen Science Fiction Preises (DSFP) hat diese
Kurzgeschichte zur besten des Jahres 2010 gewählt.
Meinen Glückwunsch, Wolfgang, zu dieser Auszeichnung.
Wir beide bewegen uns ja nicht erst seit gestern in den Gefilden des deutschsprachigen Fandoms. Du hast schon oftmals den Deutschen SF Preis unter diesem oder seinem früheren Namen wie auch andere Ehrungen erhalten. Das erste Mal allerdings darf ich die Laudatio ausbringen, zum Natas.
Du bist dir treu geblieben, eine Geschichte dieser Art hätte auch schon in einem der frühen Utopia-Großbände und vorher sogar in einem Fanzine stehen können; es hätte allerdings eines der umfangreicheren wie Andromeda, Pioneer oder Anabis bedurft. Und doch ist es eine moderne Geschichte, was beweist, dass richtig guter SF eine gewisse Zeitlosigkeit innewohnt.
Wobei wir bei der Zeit wären. »Orte der Erinnerung« ist keine Zeitreisenovelle, Dennoch hat sie die Zeit zum Thema, herum gestrickt um ein technisches Gerät, das daherkommt wie ein Handy, aber vierdimensionale Telefonnummern anwählen kann, wobei der Anrufer aus der Zukunft sein »alter ego« in der Vergangenheit zu bestimmten Handlungen verleitet, die diese Zukunft dann auch wirklich möglich machen.
Schnell ist natürlich klar, dass genau dies geschieht. Und doch ist der Verlauf der Handlung nicht einfach vorhersehbar, was ja schnell Langeweile hätte aufkommen lassen. Der Protagonist Howard steuert sich selber und seine/dessen Frau, deren Zusammenkommen er erst durch einen entsprechenden Anruf in der Vergangenheit veranlasst. Er bringt sich selbst zu Wohlstand, immer in dem Wissen, dass er nicht viel Zeit zur Verfügung hat, weil seine (und auch des anderen, der als begnadeter Fotograf Super-Ho genannt wird, – kein Wunder, wenn man seine Tipps aus der Zukunft bekommt), – weil also seine geliebte Frau Yude wegen einer unheilbaren Krankheit relativ früh verstirbt – oder auch wieder nicht, da ihr Körper mit kryonautischen Mitteln überleben soll, während ihr Geist sich in Asphodata aufhält, einem Datencluster, der eine eigene Realität hat.
Sogar ein Anruf ist dort möglich, wenn auch die Angerufene mit ihren Gedanken offenbar ganz wo anders ist.
Ist das nun alles? Ist es, beim Natas, natürlich nicht. Schon zwischendurch bringst du die LeserIn auf die Spur, wenn Dr. Yude Rice von einem Tal träumt, in dem Howard sie nur besuchen, sich aber nicht dort aufhalten kann.
Und hier bekommt die Geschichte eine weitere, verborgene Hintergründigkeit, die Ursache dafür ist, warum sie von uns als beste Kurzgeschichte des Jahres 2010 ausgezeichnet wurde.
Die Anagramme der Protagonisten Super-Ho und Yude Rice sind Orpheus und Eurydice, zu welcher Erkenntnis du uns nahezu unmerklich leitest. MancheR hat‘s vielleicht gar nicht gemerkt. Der Bogen zur Klassik wird geschlagen, eine nicht gerade gewöhnliche Bezugnahme in einem SF-Werk. Es ist die große Geschichte einer zu früh endenden Liebe, die trotz allen Bemühens, ihr Ende wieder aufzuheben, wie in der Antike, so auch mit fortgeschrittener Technik dramatisch scheitert.
Der Weg aus der Unterwelt gelingt so wenig wie die Kontaktaufnahme in die Asphodata.
Diese Geschichte ist ein echtes Meisterwerk, eben das Werk eines echten Meisters.
Eckhard D. Marwitz
Oktober 2011
Für das Preiskomitee