Michael K. Iwoleit:
Wege ins Licht
Unsterblichkeit – ein uralter Menschheitstraum!
Jede Weltreligion tröstet den Menschen mit dem Versprechen auf ein ewiges Leben in der einen oder anderen Form über seine Sterblichkeit hinweg. Philosophen haben über die Möglichkeit von Unsterblichkeit nachgedacht. Auch die Science-Fiction-Literatur ist voll von Unsterblichen, die diese Gabe oft als Belohnung für besondere Verdienste erhalten.
Ganz anders verhält es sich in der Erzählung „Wege ins Licht“ von Michael K. Iwoleit. Unsterblichkeit wird hier zur Krankheit.
Die Klimaerwärmung konfrontiert die Hafenstadt Armanghaust mit besonderen Herausforderungen. Sowohl von den vorgelagerten Inseln, die durch den Anstieg des Meeresspiegels überflutet werden, als auch aus dem mehr und mehr zur Wüste mutierenden Hinterland strömen Millionen von Flüchtlingen in die Stadt. Die überforderten Stadtherrscher wissen sich nur noch mit bloßer Gewalt zu helfen.
Die Todesschwadrone erhalten eine Spezialausrüstung, damit sie gegen die bloße Zahl der Flüchtlinge bestehen können: Ihr Blut enthält kleine Nanorobots, die regelmäßig ein Körper- und Bewußtseins-Backup ihres Trägers abspeichern. Wenn der Mensch stirbt, bauen ihn diese kleinen Helfer entsprechend dem letzten Backup wieder zusammen und erwecken ihn zu neuem Leben.
Überraschender Weise ist diese Art der Unsterblichkeit quasi-infektiös übertragbar. Gerade den Menschen, die eigentlich getötet werden sollten, wird so zur Unsterblichkeit verholfen. Der einzige Haken an der Sache: Bei jeder Wiederauferstehung geht ein Teil der Matrize verloren. Körperliche Defekte und Erinnerungslücken entstehen.
Iwoleit versetzt den Leser in die apokalyptische Atmosphäre der Megalopolis Armanghaust und ihres öden Umlands. Beklemmend sind die Schilderungen des Wiederauferstehungsprozesses: wenn Blutlachen anfangen zu zucken, sich nach und nach Nervenbahnen und Blutadern ausbilden, bis schließlich der ursprüngliche Mensch sich wieder erhebt.
Auch Unsterbliche brauchen einen Sinn in ihrem Leben. Nur kurze Zeit lässt sich der Protagonist treiben und genießt die Möglichkeit, ohne Furcht vor Sanktionen gegen alle Gesetze zu verstoßen. Seine Lebensaufgabe wird die Rache an dem Mann, der ihn in einer auschwitzartigen Massenverbrennungsanlage töten wollte. Der Held infiziert auch seinen Mörder mit der Unsterblichkeit, um ihn immer wieder von Neuem töten zu können.
Zwischen dem Protagonisten, seinem Mörder und dessen Frau entwickelt sich eine ungewöhnliche Dreiecksbeziehung – frei von Sex, aber nicht ohne Erotik. Alle drei Beteiligten machen überraschende Entwicklungen durch. Besonders die Frau übernimmt eine zunehmend aktive Rolle.
Am Ende taucht in dieser verdrehten Welt so etwas wie Hoffnung für die im wahrsten Sinne des Wortes unsterblich Kranken auf: Einige Forscher, die sich in einer sektenartigen Gemeinschaft zusammen gefunden haben, sollen eine Möglichkeit gefunden haben, die Unsterblichen wieder sterblich zu machen. Ob wirklich alle Kranken von dieser Möglichkeit zur Erlösung Gebrauch machen werden?
Michael K. Iwoleit hat in der Erzählung „Wege ins Licht“ dem Uralt-Thema Unsterblichkeit völlig neue, überraschende Aspekte abgerungen. Besonders gelungen ist die Schilderung, wie sich gesellschaftliche Werte durch das reine Vorhandensein von Unsterblichen wandeln. Diese philosphischen Überlegungen verpackt er in eine spannende Geschichte mit einem überzeugenden sozialen Rahmen. Die handelnden Personen sind einfühlsam und lebendig charakterisiert.
Das Preiskomitee ist sich einig, dass im vergangenen Jahr eine ganze Reihe guter Kurzgeschichten nominiert wurden. Um so schwerer wiegt es, dass sich Michael K. Iwoleits Erzählung „Wege ins Licht“ gegen starke Konkurrenz verdient durchsetzen konnte.
Dr. Ralf Bodemann
– für das Preiskomitee –
Juni 2002