Herbert Rosendorfer:
Die Goldenen Heiligen oder Columbus entdeckt Europa
Herbert Rosendorfer, am 19. Februar 1934 in Bozen, Südtirol, geboren, studierte (nach einem Jahr Kunstakademie) in München Jura und trat 1965 als Assessor und Staatsanwalt in den Justizdienst ein; seit 1967 ist er Richter am Amtsgericht München. Als Autor schaffte er 1969 mit dem furiosen Roman „Der Ruinenbaumeister“ den Durchbruch. Seitdem gehört er zu den fleißigsten und in den Feuilletons beachtesten Schriftstellern Deutschlands, der manches Werk zur Hochliteratur beisteuerte, sich aber auch für TATORT-Drehbücher nicht zu schade war.
Jurist und Schriftsteller, paßt das zusammen? Im Falle Rosendorfer ein klares Ja! Als kleine Anekdote sei hier ein Urteil des Richters Rosendorfer aus dem Jahre 1985 zitiert: In einem Verkehrsunfallprozeß erklärte er das Leben eines Igels für schützenswerter als eventuelle Blechschäden und eventuelle Abwehrpositionen von Versicherungen. Und er fügte hinzu: „Es ist sogar zu überlegen, ob nicht das Leben eines Igels wertvoller ist als das eines Menschen“! (Bekanntermaßen darf nach heutiger Rechtsprechung ein Autofahrer Tieren erst ab etwa Reh-Größe ausweichen, will er nicht seinen Versicherungsschutz verlieren – Hasen, Katzen, Igel: immer draufhalten!) Schon jener Urteilsspruch wäre damals einen Preis wert gewesen…
Herbert Rosendorfer erhält den Literaturpreis 1993 des Science Fiction Club Deutschland für den besten phantastischen Roman des Jahres 1992, „Die Goldenen Heiligen oder Columbus entdeckt Europa“, erschienen bei Kiepenheuer & Witsch.
Bei diesem Buch kann es passieren, daß drei verschiedene Leute drei verschiedene Romane gelesen haben. Es läßt sich nämlich – und das ist übrigens auch ein Qualitätsmerkmal – auf mindestens drei Ebenen rezipieren:
* als Qualitätsmerkmal – auf mindestens unserer heutigen Zivilisation
* als Paraphrase über Ausrottung der indianischen Urbevölkerung Amerikas, und, vielleicht am überraschendsten,
* durchaus auch als Hard-SF der alten Sorte: BEMs (bug eyed monsters) überfallen die Erde!
Wir erfahren die Geschichte der Menschheit von 1992 bis 2081, aufgezeichnet vom letzten Überlebenden unserer Art. Frappierend ist die überzeugende Schilderung, wie schnell und sang- und klanglos unsere heutige Welt vor die Hunde gehen könnte. Dazu bräuchte es die Außerirdischen (die im übrigen eher ignorant als böse sind) gar nicht, was Rosendorfer deutlich macht.
Im Zeitalter des Wassermanns, das, lange schon angebrochen, immer noch der großen Veränderungen harrt, die da kommen und die Erde erlösen sollen, treiben die esoterischen Blumen die wildesten Blüten.
Wurmfarnpackungen und Bambusrollen, die Nachfolger des Nostradamus in Birkenstockschuhen, Versandhäuser für Horoskope und okkulte Orden bestimmen das Weltbild der Jünger – das Warten auf bessere Zeiten, auf etwas, das die Langeweile des Daseins zwischen Konsum und Plastikkultur sprengt.
Als endlich die ersten Boten kommen, das erste UFO landet, ist der Jubel und ist die Verwirrung groß. Eine neue Religion entsteht um die Wesen aus dem All, und obgleich sie keinen Ton sprechen gibt jede Menge Übersetzer ihrer Botschaften. Ein Volk, das durchs All fliegen kann, kann kein schlechtes Volk sein, und so werden dann die ersten Opfer der Landung eher als unglücklicher Zufall denn als Ausdruck von Aggression gewertet.
Inmitten der ökologischen Katastrophen auf der Erde fällt es den Außerirdischen nicht schwer, die Herrschaft zu übernehmen und die verbleibende Menschheit in Abhängigkeit zu halten und ins finstere Mittelalter zurückzuwerfen.
„Die Goldenen Heiligen“ sind auf jeden Fall ein skurriles Lesevergnügen und vielleicht auch erneut ein „Lehrbuch für Konkursrecht“ (so der Untertitel eines Rosendorferschen Romans von 1985), wobei die Konkursmasse wir und die Gesellschaft sind…
Andreas Kuschke
– für das Literaturpreiskomitee –