Gert Prokop:
Kasperle ist wieder da
Herb Kienzle, Fernsehredakteur der Sendung FOKUS, macht bei seinen Recherchen Halt in Mieshof, irgendwo zwischen Bad Tölz und Rosenheim gelegen. Eigentlich soll es nur eine kurze Rast auf der Reise für eine Reportage werden, doch auf dem Marktplatz hat ein Kasperletheater gerade mit der Vorstellung begonnen, das Kindheitserinnerungen wachruft und dessen Besitzerin, Maud, über erstaunliches artistisches und bauchrednerisches Können zu verfügen scheint, ist es doch fast so, als ob das Kasperle selbst sprechen würde, und Kienzle meint, eine eigene Mimik bei ihm erkennen zu können.
Kienzle faßt den Entschluß, Maud mit ihrem Kasperle für seine Sendung zu gewinnen, doch Maud schlägt das Angebot aus. Einfühlsam und beharrlich Fragen stellend, erfährt er schließlich den Grund: Maud ist aus einem Institut geflohen, das Frauen als Gebärmaschinen für Föten mißbraucht, an denen genetische Experimente durchgeführt werden…
Mit „Kasperle ist wieder da“ legt Gert Prokop 1989 eine seiner bislang gelungensten Erzählungen vor, die zeigt, was die Science Fiction dem Autor gegenüber anderen Schreibarten bieten kann: Prokop verbindet das Thema mit einer spannenden Atmosphäre, die zu keiner Zeit in Sensationalismus abzugleiten droht. Mit den Gefühlen Mauds wird im Gegenteil sensibel umgegangen. Durch die zeitliche Distanz zwischen den Verbrechen an der Menschlichkeit und deren Schilderung durch Maud werden die Geschehnisse faßbarer, verlieren aber nichts von ihrer Abscheulichkeit.
In der Erzählung wie überhaupt bei Prokops Arbeiten fällt auch die gekonnte Dialogführung auf, die in der deutschen SF ansonsten kaum gepflegt wird. Fast alle Entwicklungen werden in Dialogen reflektiert oder finden sogar erst in ihnen statt.
Der Sieg der Kurzgeschichte „Kasperle ist wieder da“ fiel in der Kategorie „Kurzgeschichte/Erzählung“ so deutlich aus, wie schon seit Jahren nicht mehr. In der Gesamtpunktzahl lag sie um 13 Punkte vor der zweitplazierten Geschichte, viermal wurde sie auf den ersten, einmal auf den zweiten Platz gesetzt! Dabei war die Durchschnittsqualität der nominierten Stories sogar noch deutlich höher als zuletzt.
Im ganzen gesehen ist die Zahl der nominierungswürdigen Geschichten jedoch noch zu klein. Spitzenleistungen wie die von Gert Prokop bleiben noch die Ausnahme, die das Literaturpreiskomitee nicht zuletzt als Beispiel für die zukünftige Entwicklung ausgezeichnet hat.
Christian Mathioschek
– für das Literaturpreiskomitee –